Die Edermühle im Sommer

Flucht auf die harte Tour: Aus Großstadt in Vierkanter

Die Idee, das hektische Großstadt-Leben hinter sich zu lassen, hat in Polito nach jahrelanger Ferien-Erfahrung aus der Mitarbeit im Stall am Wallersee (Salzburg) den Wunsch nach der eigenen Landwirtschaft reifen lassen.

Artikel geschrieben von Markus Lohninger, NÖN Gmünd

Aufgegebene Bauernhöfe im Bezirk Gmünd sind seit Jahren ein Renner am Immobilienmarkt. Bevölkerungs-Rückgang, Wegzug in den städtischen Raum oder Bauernsterben (in 15 Jahren ging die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe im Bezirk um ein Viertel zurück) konnten nichts daran ändern, dass bäuerliche Anwesen gar nicht so leicht zu kriegen sind. Zu groß ist die Nachfrage aus Wien oder aus den Ballungsräumen in Oberösterreich und Salzburg.

Die Existenzgründung in einem verlassenen Hof am Rande der Zivilisation lässt sich mit dem nötigen Kleingeld relativ behaglich gestalten – oder eben auf die harte Tour im Spannungsfeld zwischen lieblicher Idylle und „Hinterholz 8“-Realität. Letzteres haben die Münchener Steffi Wolfsteiner (38) und Christian Polito (36) auf ihrer Flucht aus dem Alltag einer europäischen Metropole in Kauf genommen. Was sie dabei seit Oktober 2014 erlebt haben, das hat Polito in humoriger, mitunter auch bissiger Weise im Büchlein „Nur schaun, nicht kaufn. Unverhofft in eine Vollsanierung…“ festgehalten.

Polito: Städter, Schauspieler seit dem sechsten Lebensjahr, später als Profi unter anderem fünf Jahre lang bei der Daily-Soap „Marienhof“. Wolfsteiner: Städterin, Lehrling am Empfang im Bayerischen Hof (der Top-Hoteladresse in München), später in Wien ausgebildete Piercerin, schließlich Web- und Grafikdesignerin.

Die Idee, das hektische Großstadt-Leben hinter sich zu lassen, hat in Polito nach jahrelanger Ferien-Erfahrung aus der Mitarbeit im Stall am Wallersee (Salzburg) den Wunsch nach der eigenen Landwirtschaft reifen lassen. Dieser kollidierte mit dem wenig ausgeprägten Willen zur Aufnahme eines nennenswerten Kredites. „Dabei ist uns das Waldviertel einfach so zugefallen“, sagt er: Also machten sich er und seine Steffi halt einmal ein Bild von jenem als „Edermühle“ beworbenen Vierkanter am Weg zwischen Bad Großpertholz und Breitenberg, der als „Böhmmühle“ einst den Ort mit Strom versorgt hatte.

Die Mühle neben dem Anwesen am Lainsitz-Ufer hat 2014 nicht mehr existiert, das Gebäude war muffelig und der Makler nach Ansicht der neuen Eigentümer mit allen Wassern gewaschen. „Wir haben uns aber unsterblich in den großen Hof verliebt“, erklären sie, warum sie das in Wort und Bild festgehaltene Musterbeispiel für naive Städter, die immer tiefer in den Sanierungs-Sog hinein gezogen werden, durchgehalten haben.

Heute sind sie stolze Besitzer eines Bauernhofs mit Forellenteich und allerlei ungewöhnlichem Getier.

Start für wöchentliche NÖN-Serie vom Hof

Vier der seltenen Kunekune-Schweine, fünf Kamerunschafe, je sechs Bronzeputen und Pfaue, zwei Handvoll Barbarie-Enten, zehn Hühner und ein Gockel sind bereits ihre Lieblinge neben Hund und vier Katzen. Und die „Edermühle“ hat Steffi zur Marke erhoben, unter der Eigenprodukte und Erzeugnisse aus der Region per Webshop (und ab Jänner via Hofladen) vertrieben werden – die Tür in die weite Welt steht ja dank Glasfaser-Internet offen.

Ein Seminarraum kann gebucht werden, genauso eine Übernachtung im Bungalow. Auch praxiserprobte Folientunnel vertreibt das Paar heute.

Warum tut jemand, was die zwei Aussteiger taten? Wie ergeht es ihm, was erlebt er dabei? Wie lernt er die Region kennen? Diesen Fragen stellt sich Christian Polito ab sofort regelmäßig in der „Post aus der Edermühle“ an die NÖN. „Das Bild des ‚sterbenden Waldviertels‘ sehen wir überhaupt nicht, im Gegenteil – hier ist bis hin zu einem breiten Arbeitsplatz-Angebot alles vorhanden, was es braucht“, verrät er vorab: „Wir sind auch sehr herzlich in unserer neuen Gemeinde aufgenommen worden, fühlen uns total wohl hier.“

=> Zur Kolumne “Post aus der Edermühle”

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